Eine erste Einschätzung nach dem Bombenanschlag auf Benazir Bhutto
Die Fakten
Der Triumphzug von Benazir Bhutto in Karachi dauerte gerade mal zehn Stunden. Dann endete er in einem Blutbad mit mehr als 130 Toten, hunderten Verletzten und einer Massenpanik unter den Hunderttausenden am Straßenrand, die ihr noch gegen Mitternacht zujubelten. Auf dem Weg in die Innenstadt Karachis, wo die Führerin der größten Partei Pakistans, der Pakistan People's Party, gestern Mittag nach mehr als acht Jahren im Exil gelandet war, zündeten Terroristen zwei Bomben. Eine erste, kleinere direkt am eigens gebauten riesigen Paradewagen, auf dem Benazir Bhutto ohne jeglichen Schutz das Bad in der bis dahin friedlich jubelnden, euphorisierten Menge nahm. Und sofort danach sprengte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft.
Das Attentat wurde live im Fernsehen übertragen, denn schon den ganzen Tag über liefen Sondersendungen. Frau Bhutto entkam unverletzt, weil sie zu dem Zeitpunkt gerade im Inneren des Wagens war. Die Millionen TV-Zuschauer mussten aber grauenhafte Szenen erleben, wie Helfer sich ihren Weg durch Trümmer, über verstreute Leichenteile und tote Körper bahnten.
Die Folgen
Fassungslos nimmt die pakistanische Öffentlichkeit wahr, dass militante Taliban und die Al Qaida ihre Drohung, Benazir Bhutto als „Amerika–Freundin und damit Feindin Pakistans“ hinzurichten, beinahe wahr machen konnten. Und das mitten in der 14 Millionen-Metropole Karachi, wo 20.000 Polizisten längs des Paradeweges aufgeboten waren, Benazir Bhutto zu schützen.
Heute früh stellen sich Experten in Pakistan viele Fragen; wie so oft beherrschen dabei Spekulationen die mediale Szene. Und leider werden bisher nur vordergründige Fragen gestellt –nach den Tätern, nach dem Versagen des Sicherheitsapparats und den Folgen für die Partei. Wenig erörtert wird die Frage, wie lange eine Gesellschaft diese immer blutiger werdende Spirale der Gewalt noch aushalten kann.
Der gestrige Anschlag war das dritte traumatische Gewalterlebnis binnen sechs Monaten, das landesweit live im Fernsehen übertragen wurde: zuerst die stundenlangen Straßenschlachten mit über 70 Toten im Mai in Karachi, als der damals noch abgesetzte Oberste Richter Chaudry erfolglos versuchte, auf genau derselben Straße seine zehntausenden Anhänger aus der landesweit demonstrierenden Richterschaft zu erreichen. Auch die Belagerung und blutige Erstürmung der Roten Moschee in der Hauptstadt Islamabad, Anfang Juli, wurde tagelang rund um die Uhr live übertragen. Dort gab es über 200 Tote. Über die in der Folgezeit als Rache für die Toten der Moschee fast täglich stattfindenden Selbstmordattentate auf Armee und staatliche Einrichtungen wird gleichfalls mit Live-Berichten vom jeweiligen Tatort reagiert.
Die Aussichten
Ob und inwieweit das Attentat ein Rückschlag für die politische Zukunft Benazir Bhuttos bedeutet, kann noch nicht eingeschätzt werden. Wahrscheinlich muss und wird sie in Pakistan bleiben, unter der täglichen Gefahr, ermordet zu werden. Von den Millionen Anhängern ihrer Partei wird sie als eine Art Heilsbringerin angesehen, und entsprechend schlecht kann sie sich eine erneute Rückkehr ins sichere Exil leisten.
Benazir Bhutto sie ist darüber hinaus die einzige Politikerin Pakistans, die eine Anhängerschaft auch bei den Minderheiten hat, von den Christen über die Hindus bis hin zu den Stämmen in Balutschistan. Vor ihrem gestrigen Abflug nach Karachi bezeichnete Benazir Bhutto ihre Rückkehr pathetisch als ein persönliches Wunder. Deshalb hoffe sie auch auf „ein Wunder für die verarmten Menschen in Pakistan, die sich verzweifelt nach Veränderungen sehnen, die Sicherheit, Chancen und Arbeit wollen.“ Der gestrige Tag sollte der Anfang vom Ende des Extremismus und der Diktatur in Pakistan sein, so ihr Zitat in dem höchst emotionalen Moment, als sie das Flugzeug verließ.
Viele Beobachter waren überrascht, dass es ihrer Partei gelungen war, einen Empfang mit fast einer Million Anhängern zu organisieren. Das zeigt jedoch, dass es Benazir Bhutto über die langen Jahre im Exil geschafft hat, ihre Pakistan's Peoples Party zusammenzuhalten. Sie und ihre Partei, der sie als auf Lebenszeit gewählte Präsidentin vorsteht, zehren auch vom Ruhm ihres Vaters Zulfika Ali Bhutto, der in den 1970er Jahren mit einigem Erfolg eine pakistanische Variante des Volkssozialismus eingeführt hatte. Ihr Vater wurde später vom Diktator Zia Ul-Haque hingerichtet, beide Brüder Benazirs fanden den Tod bei politisch motivierten Anschlägen, und Benazir Bhutto wurde mit 35 Jahren die erste Staatschefin eines muslimischen Landes.
Das alles trug bisher zum Nimbus der jetzt 54-Jährigen bei. Vor dem Hintergrund der Kultur der Gewalt in Pakistan wird der gestrige Anschlag sie in Zukunft „unantastbar“ machen. Fragen nach ihrer Integrität und nach der Legitimität des von ihr mit General Präsident Musharraf eingefädelten Kuhhandels zur künftigen Gewaltenteilung werden so kaum gestellt werden. Musharraf ordnete auch sogleich an, dass die Täter binnen 48 Stunden zu fassen seien.
Der Wahlkampf für die Parlamentswahlen im Januar 2008 hat einen blutigen Auftakt erfahren. Die gestrige, inszenierte Rückkehr war nichts anderes, als der erste großer Wahlkampfauftritt Benazir Bhuttos, die zum dritten Mal Premierministerin werden will – diese Mal an der Seite oder unter Präsident Musharraf. Ihren Deal mit Musharraf begründete sie damit, dass der Extremismus die größte Gefahr für Pakistan darstelle, weshalb alle moderaten Kräfte gebündelt werden müsste, ihn auszurotten. Diese Stellungnahme – auch das muss man sehen – brachte ihr eine Amnestie für die während ihrer Amtszeiten begangene massive Korruptionsvergehen ein.
Benazir Bhutto hatte gestern am Flughafen noch davon gesprochen, dass das ihr Triumphzug symbolisch zu verstehen sei: Am Ende wollte sie vor dem Mausoleum von Mohammad Ali Jinnah, des als „Vater der Nation“ verehrten Staatsgründers, eine Rede halten. Genau wie Jinnah 1947 für ein offenes, liberales, tolerantes Pakistan eingetreten sei, sei ihre Rückkehr das Symbol für ein zukünftiges Pakistan frei von Extremismus und Gewalt. Als Bhutto vor dem Abflug in Dubai beim Betreten des Flugzeuges gefragt wurde, wie sie die Gefahr von Selbstmordanschlägen sehe, antwortete sie: „Muslime wissen, wenn sie eine Frau angreifen, werden sie in der Hölle schmoren.“ Al Qaida aber hat davor offensichtlich keine Angst. Pakistan befindet sich nun faktisch in einem Ausnahmezustand.